Premiere: Wicked - die Magie zwischen Gut und Böse (Hamburg)

Am 05.09.2021 kam das Musical Wicked – die Magie zwischen Gut und Böse in der Neuen Flora in Hamburg zur Premiere und beendete somit die 18-monatige pandemiebedingte Schließung aller Theaterhäuser der Stage Entertainment. Bereits ein Tag zuvor haben meine Kollegin Sarah und ich die Medienpremiere besucht und das Stück aus der 13. Reihe auf der rechten Seite des Parketts zu erlebt. 

(c) Brinkhoff-Moegenburg_Stage Entertainment
(c) Brinkhoff-Moegenburg_Stage Entertainment

Erzählt wird die Geschichte der beiden Frauen G(a)linda und Elphaba, welche sich kaum gegensätzlicher sein könnten. Trotz der zahlreichen Unterschiede und den wenigen Gemeinsamkeiten entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen. Diese Freundschaft durchläuft im Verlauf des Stücks einige Prüfungen aufgrund der ersten Verliebtheit, Rivalitäten und den verschiedenen Ansichten von Moral. Dennoch verbindet sie ein gemeinsames Abenteuer, wodurch sie lernen alle anderen Hindernisse zu überwinden und für die eine Sache zu kämpfen. Da im Folgenden auf einzelne Elemente des Stücks eingegangen wird, möchte ich an dieser Stelle eine Spoiler-Warnung aussprechen. 

Für die Spielzeit in Hamburg wurde eine vollkommene neue Inszenierung entwickelt. Dies beinhaltet ein neues Konzept für das Bühnen- und Kostümbild, neue Choreografien sowie eine insgesamt neue Gestaltung der einzelnen Szenen. Auch gibt es einige kleine Textänderungen im Vergleich zur deutschen Uraufführung im Jahr 2007. Zum größten Teil handelt es sich jedoch um die bekannten Texte aus der Übersetzung von Michael Kunze (Liedtexte) und Ruth Deny (Dialoge). Ebenso sind die bekannten Charaktere, sowie Melodien von Stephen Schwartz zu erleben. Ein Stück in diesem Umfang neu zu inszenieren ist für Stage Entertainment eher unüblich. So ist eine Tanz der Vampire Vorstellung in Stuttgart 

Beinah identisch mit einer Vorstellung in Berlin. Mit der Bekanntmachung, dass Wicked neu inszeniert wird, machte sich somit eine gewisse Neugier, aber auch Skepsis bei den Fans des Musicals breit. Seitens des Kreativ-Teams erhoffte man sich hingegen das Stück zu modernisieren und so den Bedürfnissen des Publikums gerechter zu werden. Wie Oz modernisiert wurde, soll hier an einigen Beispielen festgemacht werden. So wird das Publikum bereits in der ersten Szene von LED-Elementen angestrahlt, welche das Hauptgebäude in Oz verkleiden und Assoziationen mit Gebäuden in Las Vegas und Leuchtreklame wecken. Die Uniform und Darstellung der Universität Glizz erinnern ebenso stark an amerikanische High-School Filme. Denn eine solche Uniformierung innerhalb eines Bildungsinstituts ist in Deutschland nicht üblich. Trotz der einheitlichen Schulkleidung wird die Verschiedenheit der einzelnen Charaktere herausgestellt. So trägt G(a)linda beispielsweise einen pinken Rucksack und ein Schüler trägt einen Rock. Vermutlich soll damit auf die LGBTQ+ Gemeinschaft und ihren Kampf der vollständigen Anerkennung in der Gesellschaft verwiesen werden. In der Party Szene (Tanz durch die Welt) tanzt dieser Schüler allerdings mit einem Mädchen. An dieser Stelle wäre ein männlicher Tanzpartner sinnvoller gewesen, um die Diversität in diesem Bereich deutlicher zu vermitteln. Darüber hinaus werden mit dem Gendern und dem Klimawandel weitere aktuelle gesellschaftliche und politische Themen aufgegriffen, welche in der Deutschlandpremiere noch nicht zum Inhalt des Stücks zählten. Zudem befasst sich das Stück ohnehin bereits mit zwei zeitlosen und somit stets aktuellen Thematiken. Zum einen, dass jeder egal welcher Herkunft oder Hautfarbe gleich behandelt und akzeptiert werden soll und zum anderen steht die Thematik des Machtmissbrauchs im Fokus des Stücks. Ein weiterer Aspekt, bei dem der Modernisierungsprozess sichtbar wird, ist das Einbringen von Medien. So verfügt der Zauberer von Oz über mehrere Flachbildschirme, welche an der Rückwand der Bühne angebracht sind, und mit Überwachungskameras verbunden sind. Dadurch kann die Flucht von G(a)linda und Elphaba auf diesen Bildschirmen vom Zauberer von Oz und dem Publikum verfolgt werden. Zudem verfügt der Zauberer über einen modernen Roboter, durch den er zu seinem Volk und Untertanen sprechen kann. Darüber hinaus verfügen die Ozianer:innen über eine Art Smartphone. Dabei handelt es sich um kleine kreisförmige Spiegel an einem Band, welches sich die Ozianer:innen umhängen. Dadurch ähnelt dies optisch an die weitverbreiteten Smartphonehüllen, welche ebenso durch ein Band das Umhängen des Smartphones ermöglichen. Diese Smartphone Variante kommt in dem Stück zum einen bei dem Lied Heißgeliebt zum Einsatz, bei dem G(a)linda damit ein Foto von Elphaba macht. Zum anderen verwenden die Ozianer:innen diese bei Reden von G(a)linda an das Volk, um diese mit zu filmen oder währenddessen Selfies zu machen. Dieses Verhalten ist ebenso typisch für die heutige Gesellschaft und spiegelt diese somit wider. Allerdings wird nicht klar, wieso es sich bei den Smartphones in Oz um Spiegeln handelt. In Kontrast zu diesen eher alltäglichen und modernen Medien der heutigen Gesellschaft steht ein alter Röhrenfernseher, aus dem Dorothee nach ihrer Landung in Oz klettert. Dieser passt eigentlich nicht in die moderne Darstellung der Fantasy Welt Oz. Da Dorothee allerdings aus der realen Welt der Menschen stammt, könnte der Röhrenfernseher ebenso ein Symbol des Kontrastes zwischen Oz und unserer Welt darstellen. Als weitere Aspekte der Modernisierung sind die Choreografien und die Textänderungen in den Dialogen und Liedtexten zu nennen. So fügen sich diese beiden Bereiche ebenso in das Bild des modernen Oz ein. 

(c) Brinkhoff-Moegenburg_Stage-Entertainment
(c) Brinkhoff-Moegenburg_Stage-Entertainment

Es war sehr schön endlich wieder ein relativ großes Ensemble auf einer Bühne live singen, tanzen und spielen zu sehen. Dabei harmoniert der Cast auf ganzer Linie und entführt das Publikum mit in die Welt von Oz. Dabei sind in drei Hauptrollen mit der quirligen G(a)linda, der reservierten Elphaba und des vermeintlichen oberflächlichen Fyieros komplett verschiedene Charaktere zu erleben, wodurch sich jede:r im Publikum in einem der Charaktere wiederfinden kann. Bei der Medienpremiere spielte der gesamte First Cast. So wurde G(a)linda von Jeannine Wacker gespielt und Elphaba von Vajèn van den Bosch. Die beiden Darstellerinnen ergänzen sich auf der Bühne perfekt. So stechen sie zu Beginn insbesondere durch ihr sehr kontrastreiches Spiel hervor, welches unter anderem in dem Song Was fühle ich in mir zur Geltung kommt. Zudem sorgen diese Kontraste immer wieder für Lacher seitens des Publikums, wodurch das Stück eine gewisse Lockerheit verliehen bekommt. Es gelingt beiden das Publikum mit in ihre jeweiligen Gefühlswelten mitzunehmen und so an ihrer individuellen Entwicklung teilnehmen zu lassen. So nähern sie sich immer mehr an, wodurch beide eine emotionale und mitfühlende Seite offenbaren. Dies kommt insbesondere in dem Freundschaftsbekenntnis Wie ich bin und dem Song Ich bin es nicht zu Geltung. Dadurch entstehen wahren Gänsehautmoment. Auch setzten sie mit Heißgeliebt und Frei und Schwerelos wahre Highlights der Show. Fyiero wird von Naidjim Severina verkörpert. Auch dieser lässt die Zuschauenden an seiner Entwicklung teilhaben. Er erscheint zunächst als oberflächlicher Bad Boy und entpuppt sich durch den Einfluss von Elphaba als ein Aktivist, welcher etwas bewirken möchte. So ist dieser Charakter ein Beispiel dafür, dass ein Bad Boy Image auch lediglich der Fassade dienen kann. Alle Drei überzeugen mit einem facettenreichen Spiel und starken Stimmen. 

Leider war die Tontechnik bei der Medienpremiere noch nicht vollkommen ausgereift, wodurch die Gesangsparts teilweise leise erschienen und die Dialoge stellenweise eher schwer zu verstehen waren. Dabei ist die Wahrnehmung des Tons allerdings auch immer von dem jeweiligen Sitzplatz abhängig. Ebenso war es mir aufgrund des sehr seitlichen Sitzplatzes nicht möglich den ersten Auftritt der Schulleiterin Madame Akaber zu sehen. 

Die neue Inszenierung von Wicked – die Magie zwischen Gut und Böse glänzt mit einem großartigen Cast sowie imposanten Bühnen- und Kostümbildern. Ob ein Fantasy Stück durch die Einbindung von modernen Medien wie Flachbildschirme und Handys modernisiert werden muss oder ob auf diese Weise nicht ein Stück weit die Magie des Stücks verloren geht und so die gewünschte Flucht vor dem Alltag erschwert wird, muss jede:r für sich selbst entscheiden. Also schaut es euch an und überzeugt euch selbst von der neuen Inszenierung des Musicals über Freundschaft, Toleranz und Machtmissbrauch. 

 

Eure Pia