Berlin Skandalös - Opernhaus Dortmund

Dass wir heutzutage von den „Goldenen Zwanzigern“ reden und uns bunte und schillernde Kleider, extravagante Clubs und viel nackte Haut vorstellen, hat wohl damit zu tun, dass die Branche der Unterhaltung in den Nachkriegsjahren als kurzes Ausbrechen aus dem harten Alltag besonders beliebt war. Einen Abend der Ausflucht aus der Realität in eine komplett andere Welt hat auch Gil Mehmert mit seiner Revue „Berlin Skandalös“ unter der musikalischen Leitung von Christoph JC Müller geschaffen, die seit dem 22. Oktober im Opernhaus Dortmund zu sehen ist. Innerhalb von anderthalb Stunden kann der Zuschauer musikalisch in eine lebendig gewordene, vergangene Zeit abtauchen. Die kurzweilige Revue geht jedoch nicht nur über den Glanz und Glitzer der Goldenen Zwanziger. Mit Liedern wie „Einmal möcht’ ich keine Sorgen haben“ (Colpet, Spoliansky) oder „Irgendwo auf der Welt“ kommen auch die Themen von Armut, Obdachlosigkeit, vertrackten Beziehungskonstellationen und nie umsetzbaren Träumen auf die Bühne. Die Show bricht dabei den typischen Rahmen einer Revue auf und schafft stattdessen etwas, was Mehmert selbst „filmisch durch Berlin rauschen“ nennt: kurze Szenen, Eindrücke und Lieder, die wie aneinandergeschnitten hintereinander ablaufen und dem Publikum das Gefühl geben, selbst vor Ort zu sein und wie bei einem Spaziergang durch die Straßen Berlins das bunte, schimmernde Leben in Ausschnitten mitzuerleben. Dennoch wirkt die Produktion in keiner Weise hektisch, sondern lädt ein, es sich in der Atmosphäre bequem zu machen, den Gesang zu hören, die Tänze zu sehen und am Leben der zwanziger Jahre teilzuhaben, wenn die „Girls“ auf dem Straßenstrich nach Arbeit suchen, der „Känguruh“ die Tanzfläche erobert oder aber der obdachlose russische Philosophieprofessor um Geld bettelt.

(c) Björn Hickmann
(c) Björn Hickmann

Dabei beinhaltet die Show keine konkrete Geschichte. Vielmehr spielen die Darstellerinnen und Darsteller gewisse Typen und Charaktere, die das Berliner (Nacht)leben ausgemacht haben. Mit ihrer kraftvollen Stimme tritt Angelika Milster als Diva auf, Bettina Mönch verkörpert eindrucksvoll die junge Sängerin, Starlet. Der Crooner, dessen Gesangsstil sich durch die Etablierung des Mikrofons entwickelte, wird alternierend von Alexander Klaws, Anton Zetterholm, Mark Seibert und David Jakobs gespielt. Wer jeweils spielt, ist vorab auf der Internetseite des Theaters Dortmund zu sehen. Das Besondere ist, dass jeder Crooner zwei eigene Lieder singt. Rob Pelzer spielt den Conférencier, der moderierend durch den Abend leitet und, wie bei einem Varieté, dabei aktiv am Geschehen auf der Bühne teilnimmt. Jörn-Felix Alt spielt überzeugend den Gigolo, während Tom Zahner als Chaffeur immer wieder zwischen kleinen Typen wie dem betrunkenen Taxifahrer, dem obdachlosen russischen Philosophieprofessor und dem Berliner Polizisten wechselt.

(c) Björn Hickmann
(c) Björn Hickmann

Als „Vorspiel“ auf Cabaret gedacht, das nächste Spielzeit in Dortmund gezeigt werden soll, ist die Revue mehr als nur eine Übergangslösung, sondern mit ihrem tollen Ensemble, ihrer schnellen Atmosphäre und filmischen Herangehensweise definitiv einen Besuch wert.

Weitere Informationen zu der Revue findet ihr hier.

 

Eure Ann-Theres